Jonas Kiefer
Tradition trifft Innovation:
Zwischen historischen Rebsorten und modernem Weinbau
Jonas Kiefer führt das Weingut seiner Familie bereits in sechster Generation. In Rheinhessen verbindet er auf 26 Hektar Rebfläche traditionellen Weinbau mit innovativen Ansätzen. Seine besondere Leidenschaft gilt historischen Rebsorten aus dem Mittelalter. Gleichzeitig experimentiert er aber auch mit pilzwiderstandsfähigen Neuzüchtungen.

Der Rote Veltliner oder auch der 8.000 Jahre alte Süßschwarz – das sind historische Weine, die fantastisch schmecken. Aber genauso spannend finde ich es, mit modernen pilzwiderstandsfähigen Sorten wie dem Cabernet Blanc zu experimentieren. Das Alte bewahren und gleichzeitig Neues wagen, das macht für mich den Weinbau aus.
Jonas Kiefer
Die Wurzeln: Weinbau seit Generationen
Wie sind Sie eigentlich dazu gekommen, Weinbau zu betreiben? Auch wenn die Eltern und Großeltern das gemacht haben, heißt es ja nicht automatisch, dass man selbst auch diesen Weg einschlägt.
Wir sind jetzt die sechste Generation, die Weinbau betreibt. Für mich war das eigentlich schon als Kind klar, weil ich immer dabei war im Betrieb. Mit 16 Jahren Schlepper fahren, das hat natürlich Spaß gemacht! Aber auch die anderen Arbeiten im Weinberg haben mich fasziniert.
Kurz hatte ich überlegt, etwas anderes zu machen, aber dann hatte ich zum Glück während der Ausbildung die richtigen Betriebe. Bei der Winzerausbildung wechselt man jedes Jahr den Betrieb und ich hatte zwei tolle Ausbildungsbetriebe, die mir wirklich Spaß am Weinbau gezeigt haben.
Sie sind jetzt in sechster Generation im Weinbau. Macht Ihre Familie ausschließlich Weinbau? Viele Weingüter sind ja ursprünglich als Mischbetriebe entstanden.
Historisch gesehen war das bei uns auch so. Vor 200 oder 300 Jahren hat sich jeder Landwirt mehr oder weniger selbst versorgt. Das hat sich dann entwickelt: Als mein Vater in den Betrieb kam, hat er das Vieh abgeschafft. Mein Großvater hatte noch Kühe, Pferde und Schweine gehalten.
Als ich in den Betrieb kam, hatten wir noch Ackerbau und den haben wir dann ebenfalls abgeschafft. Wir waren einfach zu klein dafür und durch die Stadtnähe konnten wir in diesem Bereich nicht wachsen. Viele Landwirte in unserer Region haben sich dann spezialisiert – auf Gemüse, Zwiebeln, Kartoffeln oder eben Wein. Wir sind den Weg in Richtung Weinbau gegangen, sind dort gewachsen und haben den Rest vom Betrieb abgestoßen.
Der neue Standort: Weinbau im Einklang mit der Natur
Auf Ihrer Webseite steht, dass das Weingut 2014 fertiggestellt wurde. Was steckt dahinter?
Wir haben komplett neu gebaut. Früher waren wir im alten Dorfkern in einem gemischten Betrieb. Wir hatten irgendwann den Kuhstall zur Vinothek umgebaut, wie das oft der Klassiker ist. Mir war aber relativ schnell klar, dass wir gebäudetechnisch etwas tun mussten.
Als ich noch in der Ausbildung war, haben wir eine Maschinenhalle gebaut, weil es im Ortskern sehr beengt war. Dort werden die Arbeitszeiten quasi von den Nachbarn vorgegeben, wenn man keinen Streit haben will. Im Weinbau, besonders im Herbst oder im Sommer, muss man aber oft auch nachts arbeiten. Pflanzenschutz läuft wegen der hohen Temperaturen nachts und die Weinlese muss oft abends oder nachts stattfinden, wenn es tagsüber noch zu warm ist. Man muss rund um die Uhr arbeiten können.
Deshalb haben wir den kompletten Betrieb nach außerhalb verlegt und den alten Standort aufgegeben. Hier draußen haben wir Parkmöglichkeiten für Kunden, einen Wohnmobilstellplatz hinter dem Weingut, und die Kunden können direkt in den Weinbergen den Wein probieren. Dieses Erlebnis ist für unsere Kunden einfach toll.

Wie viele Hektar bewirtschaften Sie mittlerweile?
26 Hektar.
Das klingt nach Wachstum. Sie haben sich also kontinuierlich vergrößert?
Genau. Wenn man die Landwirtschaft aufgibt, hat man die Chance, flächenmäßig zu wachsen. Man kann mit anderen Betrieben tauschen: Bei uns gab es viele Gemischtbetriebe, wo manche mehr in den Ackerbau gehen wollten. Da konnte man dann Flächen tauschen.
Vor zehn Jahren hätte ich nicht gedacht, dass sich der Markt so entwickelt. Heute ist die Situation fast umgekehrt: Wenn man nicht schnell genug „Nein“ sagt, bekommt man mehr Fläche angeboten, als man braucht. Es gibt sogar Flächen, die brachfallen.
Die Philosophie: Historische Rebsorten als Zukunft
Gibt es eine Philosophie, die Ihr Weingut gut zusammenfasst?
Man kann nur über Qualität bestehen, das gilt überall. Vor etwa 15 Jahren habe ich für mich die Nische der historischen Rebsorten entdeckt. Mich hat einfach persönlich interessiert: Was hat mein Großvater, mein Urgroßvater oder noch frühere Generationen angebaut? Was haben die damals getrunken?
Damals ging es auch los, dass man draußen im Weinberg gemerkt hat: Das Klima wird wärmer. Manche Rebsorten funktionieren nicht mehr so gut wie früher, vielleicht funktionieren sie bald gar nicht mehr. Dann habe ich Andreas Jung kennengelernt. Er ist Rebenforscher und hat mittlerweile über 100 Rebsorten wiederentdeckt, die ausgestorben waren. Das sind Rebsorten aus dem Mittelalter, als es schon einmal sehr warm war.

Wir haben mittlerweile sechs historische Rebsorten im Anbau. Das ist unsere Philosophie: Das Alte bewahren, aber auch das Neue ausprobieren. Deshalb pflanzen wir auch pilzwiderstandsfähige Rebsorten, die sogenannten Piwis.
Spezialisieren Sie sich nur auf alte Rebsorten oder gehen Sie auch den Weg mit den Piwis?
Am Anfang war ich bei den Piwis skeptisch, weil die Namensgebung schwierig ist. Aber wir haben jetzt den ersten Piwi in der Vermarktung: den Cabernet Blanc. Der hat mich vom Wein her überzeugt. Wir haben noch mehr Sorten, die wir pflanzen wollen und auch schon gepflanzt haben. Der Kunde muss das aber auch annehmen, das ist natürlich wichtig.
Piwis (pilzwiderstandsfähige Rebsorten) sind moderne Neuzüchtungen. Sie sollen deutlich weniger Pflanzenschutzmittel benötigen und damit den Anbau von Wein nachhaltiger machen.
Bei historischen Rebsorten und Piwis: Merkt man große Unterschiede im Ertrag? Viele sagen, dass Piwi-Trauben gesünder aussehen und besser mit Hitze und Pilzbefall zurechtkommen.
Die historischen Rebsorten sind klimaerprobt, das ist ein großer Vorteil. In den letzten Jahren, die sehr trocken waren, habe ich festgestellt, dass die historischen Rebsorten damit sehr gut zurechtkommen. Auch junge Reben, die noch nicht tief gewurzelt sind, stehen im Sommer gut da, wenn es wenig regnet und heiß ist. Die historischen Rebsorten gedeihen deutlich besser als die herkömmlichen Rebsorten.
Bei den Piwis sehe ich die Ertragsstärke als potenzielles Problem für die Zukunft. Sie sind sehr ertragsstark, was einerseits gut ist. Andererseits sollten gerade die Piwis lange gesund und robuster gegenüber Pilzkrankheiten sein. Wir hatten zum Beispiel Regent im Anbau, aber diese Robustheit hat stark nachgelassen. Die Pilzkrankheiten passen sich an. Mit dem Regent habe ich jetzt aufgehört.
Regent war die erste pilzwiderstandsfähige Rebsorte auf dem Markt. Am Anfang dachte man, man müsse die Reben gar nicht mehr behandeln. Aber die Pilze sind schneller als wir Menschen, die entwickeln sich sehr schnell weiter. Deshalb haben wir oft Resistenzen gegen Pflanzenschutzmittel und die Pilze brechen dann auch den Schutzmechanismus der Rebsorten.
Bei den Piwis merkt man zwar, dass die Rebe den Pilzbefall bekämpft, aber trotzdem kann ein Pilzbefall die Traube kaputtmachen, besonders während der Blüte. Auch bei Piwis kommen wir nicht ohne Pflanzenschutz aus. Natürlich brauchen wir viel weniger Pflanzenschutzmittel, aber man muss aufpassen und das Ganze nicht überbewerten.
Die besonderen Weine: Jonas Kiefers Empfehlungen
Welche drei Weine würden Sie einem Weinliebhaber von Ihrem Weingut besonders empfehlen?
1. Roter Veltliner
Den haben wir mittlerweile auch als Sekt ausgebaut. Als Wein haben wir ihn schon länger. Er war nicht direkt ausgestorben – in Österreich gibt es noch kleine Flächen. Aber die Reben für meinen Weinberg wurden tatsächlich in Rheinhessen wiedergefunden, also kein Reimport aus Österreich.
Die Rebsorte war in Rheinhessen mit Sicherheit stark von Bedeutung. Am ganzen Rheingraben entlang gab es Roten Veltliner. Er hat auch das Synonym „Fleischtraube zu Worms“, weil der Wein in Worms ausgebaut wurde.
Ist der Rote Veltliner ähnlich wie der Grüne Veltliner?
Nein, das ist das Spannende, was sich auch keiner erklären kann. Man hat das genetisch untersucht: Der Rote Veltliner hat nichts mit dem Grünen Veltliner zu tun. Warum beide „Veltliner“ heißen, weiß man auch nicht. Im Veltlin, das liegt in den Alpen, wird eigentlich keiner dieser beiden Weine angebaut.
Der Rote Veltliner hat eine ganz andere Aromatik als der Grüne Veltliner. Der Grüne hat sehr viel Säure, der Rote ist sehr weich in der Säure, sehr mild. Er wird bei uns im Holz ausgebaut – in Tonneaux, also größeren 500-Liter-Fässern, die auch lange genutzt werden. Nicht zu viel Holz, sondern wohl dosiert für eine gute Reifung.
Es gibt noch einen Frühroten Malvasia, das ist wohl ein „Kind“ vom Roten Veltliner. Der Rote Veltliner ist also älter. Der Malvasia ist relativ bekannt: Luther hat ihn wohl erwähnt und getrunken. Der Rote Veltliner ist aber die Ursprungssorte, aus der sich dann der Frührote Malvasia entwickelt hat.
2. Süßschwarz
Der Süßschwarz-Rotwein ist auch etwas ganz Außergewöhnliches. Es ist ebenfalls eine historische Sorte beziehungsweise eine der Urreben, rund 8.000 Jahre alt. Vor 8.000 Jahren soll die Kulturrebe entstanden sein, irgendwo in Georgien im Kaukasus. Der Wein wird bei uns im Barrique ausgebaut.

Sie machen also viel mit Holzausbau?
Ja, bei den historischen Weinen. Für mich gehört das irgendwie dazu. Den ganz großen Schritt zum historischen Weinbau mit Amphoren habe ich noch nicht geschafft, da wage ich mich noch nicht dran. Aber Holz ist schon das Traditionelle, denn Edelstahl haben wir erst seit etwa 50 Jahren. Vorher war alles im Holz.
Gerade beim Süßschwarz haben wir eine tolle Frucht, diese Sauerkirsch-Aromatik, die im Vordergrund steht. Da muss man auch vorsichtig sein, dass man diese nicht mit zu viel Holz überlagert.
3. Cabernet Blanc
Das wäre etwas ganz Neues: der Cabernet Blanc. Das ist eine pilzwiderstandsfähige Rebe, die noch keine 30 Jahre alt ist, also ein richtiger Jungspund. Der Wein ist von der Aromatik her toll: fruchtig, frisch, quasi für den Sommer ideal: grün und leicht.
Die Street Art Edition: Kunst trifft Wein
In Ihrem Online-Shop gibt es die Street Art Edition. Wie kam es dazu?
Das hat auch ein bisschen mit Inhalt zu tun. Wir haben versucht, Weine reinzupacken, die das Zielpublikum ansprechen – ein jüngeres Publikum, das auf Kunst anspricht.
Ein Bekannter von mir ist Street-Art-Künstler – René Burjack. Früher hat er das hobbymäßig gemacht, mittlerweile ist es sein Beruf. Die Bilder sind sehr großformatisch und wir haben dann Ausschnitte genommen und auf die Etiketten gepackt.
Das hat mit der Scheurebe angefangen. Wir bauen die Scheurebe modern aus: trocken, also nicht das Edelsüße, was man früher bei der Scheurebe hatte. Wir haben ein Bild mit einer Frau genommen und den Schriftzug „Scheu“ über die Augen gemacht. Das war der erste Wein in unserer Street Art Edition.

Dann brauchten wir noch einen Rotwein. Weil es ein wildes Cuvée ist, das gut zu Wild passt, heißt er „Wild“. Dafür haben wir gedecktere, dunklere Farben fürs Etikett genommen.
Irgendwann kam dann die Liebfrauenmilch dazu. Das war früher ein Exportschlager aus Deutschland, süß und billig. Aber es war auch ein Traditionswein. Die Liebfrauenmilch gab es beispielsweise im Hotel Adlon und auch auf der Titanic. Es war quasi eine Marke wie Bordeaux oder Burgunder, nur eben aus Deutschland.
Laut Weingesetz ist Liebfrauenmilch ein Cuvée aus Müller-Thurgau, Riesling und Silvaner (also den typischen rheinhessischen Sorten) und er muss aus Rheinhessen oder der Pfalz kommen. Früher war die Qualität leider schlecht, sodass dieser Wein in die Bedeutungslosigkeit gefallen ist.
Unsere Idee war: Das ist doch eigentlich eine coole Story, ein Traditionswein aus Deutschland. Das können wir doch auch in gut machen! Auf einer Veranstaltung hatte unser Künstler ein Bild mit einer Madonna dabei. Das hat perfekt zu unserer Liebfrauenmilch gepasst.
Liebfrauenmilch darf nicht trocken sein. Sie muss laut Weingesetz restsüß sein.
Familie und Team: Ein klassischer Familienbetrieb
Macht die ganze Familie im Weinbau mit?
Ja, wir sind ein klassischer Familienbetrieb. Wir haben einen Festangestellten und zwei Saisonarbeitskräfte, die im Winter zwei Monate zum Rebschnitt kommen und im Sommer zwei Monate für die Laubarbeiten.
Ansonsten ist es Familie: Mein Vater macht trotz Rentenalter noch mit, natürlich nicht mehr voll. Unser Festangestellter macht alles von den Außenarbeiten über den Keller bis zum Weinpacken. Meine Frau und ich kümmern uns um die Vermarktung und das Büro.


Roter Veltliner trocken – Weisswein
Dieser Weisswein aus der Historischen Rebsorte Roter Veltliner bietet eine würzige Aromatik mit leicht nussigem Geschmack und einer feinen Mineralität.

Süßschwarz trocken – Rotwein
Vor mehr als 8000 Jahren wurde dieser Wein schon angebaut. Im Geschmack finden sich rote Früchte wie Schattenmorellen.

Cabernet Blanc – Weisswein
Eine Piwi mit grünen, fruchtig-frischen Aromen von grünen Äpfeln, Stachelbeeren und Gras. Elegante Säure, harmonische Struktur.
Tradition als Zukunft
Jonas Kiefer verbindet auf beeindruckende Weise jahrhundertealte Weinbautradition mit modernen Ansätzen. Seine Leidenschaft für historische Rebsorten aus dem Mittelalter zeigt, dass manchmal der Blick zurück der beste Weg nach vorne sein kann, besonders im Zeitalter des Klimawandels. Gleichzeitig scheut er nicht vor Innovation zurück und experimentiert mit pilzwiderstandsfähigen Neuzüchtungen.
Das Weingut Jonas Kiefer ist ein perfektes Beispiel dafür, wie Familientradition, Qualitätsbewusstsein und Experimentierfreude zusammen etwas Besonderes schaffen können. Ob Roter Veltliner, Süßschwarz oder die moderne Street Art Edition, hier findet jeder Weinliebhaber etwas Außergewöhnliches.
Weingut Jonas Kiefer
Rebgartenstraße 41
67551 Worms – Wiesoppenheim
Website: www.kiefer-wein.de
Rebfläche: 26 Hektar
Besonderheit: Historische Rebsorten aus dem Mittelalter & pilzwiderstandsfähige Neuzüchtungen



